Guglielmo Manenti

Guglielmo Manenti lebt und arbeitet als Illustrator, Maler und Regisseur von Zeichentrickfilmen in Modica in Sizilien (Italien). 2007 habe ich Guglielmo über seine Zeichnungen zu einem der ersten Bücher im Verlagshaus Berlin, »Gedanken aus Schwerkraftland«, kennengelernt. Formal begeisterte mich seine feine Linienführung mit eher unnachgiebigen Werkzeugen wie Feder und Tusche, aber auch inhaltlich waren seine Zeichnungen wie ein Sog in die surreale Welt von Alexander Graeffs Erzählungen.

Gedanken aus Schwerkraftland / Illustration: © Guglielmo ManentiGedanken aus Schwerkraftland / Illustration: © Guglielmo Manenti

Gedanken aus Schwerkraftland / Illustration: © Guglielmo Manenti
Gedanken aus Schwerkraftland / Illustration: © Guglielmo Manenti

»Gedanken aus Schwerkraftland« (Verlagshaus Berlin, 2007) / Illustrationen von Guglielmo Manenti zu Texten von Alexander Graeff

Viel später, während einer Reise durch Sizilien, bekam ich einen umfassenden Einblick in seine Bilderwelten und war sehr beeindruckt von seinen Positionen, besonders von seinem steten Versuch, die künstlerische Aktivität mit sozialem und politischen Engagement zu verbinden.

Guglielmo arbeitet als Zeichner für Zeitschriften und illustriert Bücher, u. a. die erste italienische Comicversion des »Ulysses« von James Joyce. Seit 2006 ist er Regisseur politischer Videoaktionen »EX per un Bestiario Urbano« bei Extempora Production Ragusa und realisiert seit 2007 Animationsvideos, die auf Kurzfilmfestivals in ganz Europa gezeigt werden. Seit 1996 stellt er seine Zeichnungen in Einzel- und Gruppenausstellungen aus. In Berlin zeigte er zuletzt 2016 surreale Tuschezeichnungen zum Transformationsprozess Gregor Samsas bei dem Festival »Verwandlungswochen« in der Brotfabrik Berlin.

Illustration: © Guglielmo ManentiPlakatgestaltung: © Andrea Schmidt

Illustration von Guglielmo Manenti zu den »Verwandlungswochen« in der Brotfabrik Berlin (2016)

Im Interview, welches von Ursula Bünger aus dem Italienischen ins Deutsche übertragen wurde, spricht Guglielmo über seine Profession, sein Herangehen an komplexe Bilderwelten, aber auch über seine Arbeit als politischer Aktivist und darüber, dass Erfolgsdruck auch eine Gefahr sein kann, die innere Dimension des Suchens zu verlieren. Vorhang auf für Guglielmo Manenti!

→ Wie entsteht eine Illustration?
Alles beginnt bei mir mit einer Idee, die nach einer Form verlangt. Ideen, die sich von einem größeren Ideenfluss abheben und meine Aufmerksamkeit verlangen. Ideen, die aus der Lektüre von Autor_innen stammen, in denen ich ein verwandtes poetisches Universum wiederfinde, aber auch Ideen, die von dem Versuch des Verständnisses von Fakten herrühren, die die Wirklichkeit mir täglich vor Augen hält, und auf die ich mit Zeichnungen und schriftlichen Notizen reagiere. So entstehen parallele Welten, die den Sinn dessen verändern, was uns umgibt. Ein Prozess der Annäherung, der Tausende von Skizzen auf Papier, wie auf »post-its« oder Ecken von gebrauchten Briefumschlägen beinhaltet, und bei dem ich Informationen aus verschiedenen Quellen ansammle, die meine Vision anreichern. Zum Schluss sitze ich vor dem leeren Blatt Papier, lasse alles hinter mir und sehe, wie etwas wie von selbst entsteht.

→ Mit welchem Material arbeitest Du am liebsten und wie würdest Du Deinen Stil beschreiben?
Der Stil und die Techniken verändern sich je nach dem Projekt, an dem ich arbeite. Nach Jahren des Ausprobierens verschiedener Maltechniken auf verschiedenem Grund, nach Projekten von Zeichentrickfilmen unter Mitarbeit vieler weiterer Personen, bemerke ich jetzt, dass ich jedes Mal, wenn ich vor einem weißen Blatt Papier mit einem Fässchen Zeichentusche und einer Zeichenfeder sitze, eine Dimension des Wesentlichen wiederfinde, die mir wie angegossen sitzt, und die mich in eine zeitlose Dimension versetzt. Die Tuschefeder erlaubt eine fast chirurgisch zu nennende Dimension in der Wiedergabe der kleinsten Einzelheiten. Gleichzeitig wird es mir möglich, in einer Wolke von Stricheln und von gebrochenen Linien jene nebelhaften Atmosphären der Aufhebung von Wirklichkeit wiederzugeben, die es möglich machen, die grotesken Räume und Atmosphären im Stil des »noir« anzudeuten, die mich interessieren. Viele der Illustrator_innen, mit denen ich aufgewachsen bin, wie zum Beispiel Edward Gorey, Topor, Kubin und Schulz, schienen aus dem Universum viktorianischer Drucke zu schöpfen, die eine Empfindung von zeitloser Entfremdung schufen. Eine Beziehung zu einem vergangenen, aber parallelen Kosmos, wo Unruhe und paradoxe Aspekte sichtbar wurden.

Illustration: © Guglielmo ManentiIllustration: © Guglielmo Manenti

Illustrationen von Guglielmo Manenti

→ Wie näherst Du Dich der Illustration von Gedichten?
Schon immer fasziniert mich die Beziehung zwischen Poesie und Zeit und Raum. In wenigen Versen können ganze Welten evoziert werden, Analysen von vergangenen Persönlichkeiten, Zeitsprünge innerhalb des Lebens einer Person oder eines Volkes. Bei der Arbeit der grafischen Übersetzung stelle ich mich in den Dienst eines tieferen inneren Zusammenhangs einer anderen Person. Die Schwierigkeit, die zahlreichen Nuancen innerhalb eines Textes zu verstehen und nachzuempfinden. Um dann eine eigene Lektüre der Bilder innerhalb der Worte zu suggerieren, ohne in jenen heiligen Raum einzudringen, der zwischen Autor_in und Leser_in entsteht. Eine Illustration kann eine Hilfestellung geben, in jene poetische Welt der Autor_innen einzutreten, und einige Aspekte zu suggerieren. Die Illustration im Objekt »Buch« kann in ihrer Direktheit die, stilistisch von Gedichten und heutigem Empfinden weit weg zu sein scheinenden, zerstreuten Leser_innen neugierig machen. Wenn dies gelingt, ist der grafische Teil des Gedichtes im Gleichgewicht zur Lektüre selbst und unterstützt sie, aber ersetzt nicht die persönlichen Projektionen der Leser_innen.

→ Was macht Buchillustration für Dich besonders?
In dem Fall, in dem Illustration nicht nur Dekoration ist, werden die Bilder in ihrer Unmittelbarkeit ein Beitrag zum Verständnis einer literarischen Welt. Wer in einem Buch blättert, liest vielleicht schnell Teile daraus, aber bemerkt sicher die Bilder im Text, die Hinweise schaffen. Das Buch als Objekt ist Teil meiner Kultur und gibt mir ein haptisch angenehmes Gefühl. Die Illustration begleitet den Text in all seinen virtuellen Projektionen. Manchmal kennen wir von einem Buch nur die Zusammenfassung aus dem Internet, und auch in diesem Fall beeindruckt die Illustration vielleicht vor dem Text.

Illustration: © Guglielmo ManentiIllustration: © Guglielmo Manenti

Illustrationen von Guglielmo Manenti

→ Gibt es gesellschaftliche Themen, die Dich in Deiner künstlerischen Arbeit besonders interessieren?
Bei meiner Arbeit als Illustrator habe ich zwei unterschiedliche Schwerpunkte, einerseits schwarz-weiße Illustrationen, die Autor_innen gewidmet sind, die einen kritischen Standpunkt zu herrschenden Machtverhältnissen, wie Staat und Familie haben, und/oder die grotesken bis tragischen Aspekte der Diktaturen unterstrichen haben, wie Büchner, Kafka, Majakovski. Andererseits arbeite ich seit über zwanzig Jahren als Illustrator und Karikaturist aktiv bei anarchistischen Basisbewegungen, unter anderem die Bewegung »No Muos« gegen die Aufstellung von militärisch genutzten Radaranlagen in Sizilien, mit. Jeden Tag erstelle ich in einem sozialen Netzwerk ein buntes Bild, das humoristisch auf die populäre Vorstellungswelt eingeht und nehme dabei zu Fragen der nationalen und internationalen Politik Stellung, unter besonderer Berücksichtigung der geopolitischen Entwicklungen im Mittelmeerraum. Diese Bilder werden in sozialen Netzwerken verbreitet, werden zu Aufdrucken auf T-Shirts und Plakaten bei Demonstrationen sowie in Zeitungen der antimilitaristischen Bewegung verwendet.

→ Was oder für wen würdest Du nie illustrieren?
Meine antimilitaristische und antifaschistische politische Meinung führt sicher dazu, dass ich einige Zeitungen und einige Projekte ausklammern werde.

→ Mit welchen Künstler_innen würdest Du gern ein Projekt realisieren?
Es gibt Zeiten, in denen ich ganz allein arbeite und Zeiten, in denen ich mit vielen Künstler_innen zusammenarbeite. Ich habe vor allem mit Theaterregisseur_innen und Choreograph_innen für Bühnenkulissen und Bewegungen auf der Bühne gearbeitet. Die Anfangsphase des Brainstormings fasziniert mich sehr. Mich interessiert die Dimension der Zeichnung, Ideen in Form von schnellen Skizzen zu visualisieren, und gleichzeitig technische Grenzen beachten zu müssen. Die Liste der Künstler_innen, mit denen ich zusammen arbeiten würde, ist sehr lang – und sie haben nicht immer internationale Berühmtheit erlangt.

Belletristik / Illustration: © Guglielmo ManentiBelletristik / Illustration: © Guglielmo Manenti

»Belletristik« (Verlagshaus Berlin, Nr. 11, 2011) / Illustrationen von Guglielmo Manenti

→ Wieviel ist für Fame, wieviel für Fortune?
Ich denke wenig an diese Aspekte. Leben zu können, indem ich zeichne und meine Ideen verwirkliche, ist unbezahlbar. Jedes Mal, als ich mich Situationen näherte, die momentan an Erfolg denken ließen, während einiger Ausstellungen oder der Mitarbeit an Zeitschriften, nahm ich wahr, dass entstehender Erfolgsdruck auch eine Art Gefahr bedeutet: die innere Dimension des Suchens zu verlieren. In der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, ist meine Aufmerksamkeit weniger auf Erfolg und Ruhm in einer durch die sozialen Netzwerke schnelllebig gewordenen Zeit gerichtet, als vielmehr auf Projekte, wo ich das Beste geben kann. Geld dient natürlich dem Überleben und der Verwirklichung neuer Projekte.

→ How much is the Fish?
Die Fische kommen und gehen. Manchmal ist es hart, nur von der Zeichenarbeit zu leben. Aber es ist ein unbezahlbares Erlebnis, der erste Zuschauer dessen zu sein, was auf dem Blatt vor dir entsteht.

Wir danken Guglielmo Manenti für das Interview und freuen uns sehr auf zukünftige gemeinsame Projekte. An dieser Stelle dürfen wir schon verraten, dass wir 2019 einen Band mit Texten eines italienischen, bereits verstorbenen, Autors planen, den Guglielmo Manenti illustrieren wird. Lasst euch überraschen! Andrea

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