Ein Stereotyp in Japan sind die Leuchtreklamen. Ikonisch dafür ist die Straßenkreuzung von Shibuya in Tokyo: Immer wieder wird sie filmisch adaptiert, ähnlich wie die Skylines von Manhatten oder von Hong Kong. Bunte Schriften und Gesichter, die sich auf den Fassaden der Wolkenkratzer bewegen und dabei die Geschwindigkeit der Menschen potenzieren. Dieser Ort wirkt auch in der Realität wie eine Cyberpunk-Kulisse. Immer wieder setzt sie die Imagination einer Zukunftsstadt in Gang.
Japan ist Science Fiction. Auch das ist ein Stereotyp, von dem der westliche Blick geprägt ist. Im Idealfall ist ein Blick allerdings mehr als bloßes Glotzen. Nur, gibt es den eintretenden Idealfall nicht ebenso wenig wie das verkörperte Stereotyp? Alles andere ist doch Karneval. Wenn es den Idealfall nicht gibt, ist ein Blick entweder immer nur Glotzen oder mit Blick ist nicht Blick gemeint, sondern etwas Anderes.
Zum Beispiel: Denken. Im Idealfall ist Denken sich seiner vorgeformten Schablonen bewusst. Jetzt drehen wir uns im Kreis (der so rund ist wie ein zerknüllter Kiesel). Dazu kommt, dass ich nicht nur Blick bin. Und nicht nur Denken. Ich bin eine ganze Menge, von Hornhautträgerin bis Leuchtreklame (wenn ich erröte). Schon das spricht gegen den sterilen hermetischen Blick und die sterile hermetische Oberfläche des Erblickten. Weder ich noch die Oberfläche sind steril.
Japan ist nicht nur Science Fiction. Prozesse, in denen manchmal tatsächlich ein Fortschreiten von Zeit sichtbar wird. Beispielsweise in einem lyrischen Text. Oder daran, dass eine Leuchtreklame keine Werbung mehr abspult, sondern Lyrik. Wäre das utopisch? Lyrik, die keinen Sinn hat. Noch utopischer? Lyrik, die keinen Sinn braucht.