#08 Wut // Gedichte // Festivals

Es gibt diese Momente. Ich überspanne. Irgendwas legt einen Schalter um, ich werde Automat meiner Freiheit, aber ich muss es immer noch verantworten. Ich schreibe nicht davon, dass Wut oder Hass ausgezeichneter für die Lyrik geeignet wären. Ich schreibe genauso über Sehnsucht, Verzweiflung, Liebe etc. Aber Wut als Emotion und als gesellschaftsbildendes Moment hat derzeit einen anderen poetologischen Stand.

 

wo etwas sein könnte zum Stoßen, fehlt

Atem. scheinen gegenläufig Ort, Ebene,

Handgelenk auf Puls. Pochen zeitgleich

Stirn und Boden zur Beruhigung. man sagte

geh […]“ (JW)

 

Dieses Pochen, das nach außen dringt und auch von außen zu kommen scheint. Wut. Ob Trump jetzt das Klimaabkommen kündigt, ob ein Festival wieder in Gefahr ist, oder ich am Bahnhof von Plakaten einer elitären Singlebörse umzingelt werde. Wut. Sie macht produktiv, lässt mich handeln. Manchmal entstehen wütende Gedichte. Natürlich gibt es die Angst, in die „Falle des Klischeeberserkers vom Dienst zu tappen. (MD)“.

 

Heißt das nun aber, dass Wut per se ins Irrationale führt?“ (SK) Nein.

Letztes Jahr war ich auf dem Musikfestival M’Era Luna. Mein Freundeskreis fährt seit über 5 Jahren dort hin und wir amüsieren uns köstlich. Diesmal stimmt das nur teilweise. Höheres Polizeiaufgebot, mehr Spürhunde, die unterschwellige Angst: Bataclan war unsere Musikrichtung. Es war beängstigend, aber wir haben gefeiert, nicht trotzdem, sondern gerade dagegen an. Wir haben dagegen angefeiert. Während wir dort waren, gab es einen Dronenangriff auf einen afghanischen IS-Führer, einige neue Scharmützel in der Ost-Ukraine und CIA und BND meldeten sich zu Wort. Erst ein oder zwei Monate vorher hat jemand versucht, mit einer Bombe auf ein Festivalgelände in Ansbach zu kommen. Jetzt wurde Rock am Ring 2017 unterbrochen.

Wut kann auch Modus der Reflektion sein. Ich kann wütend über Belange nachdenken. Es wird weder wahrer noch irrationaler. Die Empfindung ist intensiv. Wut ist nie Der Inhalt, sondern die Form. Wie etwas geschieht ist ausschlaggebend. Es ist nicht wichtig, worüber ich schreibe, man erkennt Wut. Wut ist die Art und Weise, über etwas zu schreiben.

Und ich schrieb: Scripted Virtuality – zerrüttete Sonette.

Es sind Sonette, die mit Ausstreichungen arbeiten und dadurch verschiedenes illustrieren: Welche Wortwahl treffe ich beim Dichten, in welche Richtung hätte das Gedicht gehen und nicht können, welche Möglichkeiten stecken in ähnlichen Wortkombinationen, wie werden Abkürzungen verwendet und verstanden, die Form des Sonettes ist ebenso vorhanden, wie aufgebrochen etc. Eine virtuelle Angst manifestiert sich als reale Wut.

Also ich empfinde nicht den Hass (der viel stärker Kopfsache ist) aber die Wut in einem engen Verhältnis zur Poesie. Beides bedeutet eine Abkehr vom Maßhalten, von den Kompromissen, über die wir uns sonst so gern definieren. “ (KG)

Genau deswegen fahren Menschen auf Musikfestivals: Sie wollen das Maßhalten sein lassen. Dem gesellschaftlichen Maß kurzzeitig entfliehen. Ob sie sich nun drei Tage nicht duschen, in einem Kuhkostüm rumlaufen oder sich einfach hart die Kante geben.

Aber das ist es ja. Sind wir nicht mittlerweile so davon überzeugt, dass Emotionen das Rationale (diesen Kompromiss des Miteinanders) negieren? Das Festival ist ein irrationaler Raum, aber ein freiheitlicher, bei dem es selten zu Ausschreitungen kommt. Ein feier-fröhlicher Anarchismus, deswegen tut es meiner Seele jedes Mal so gut.

 

Wieso haftet allem nicht-Nüchternen dieses schale an, das uns als Menschen unzivilisiert vorkommt? Es geht nicht darum, dass sich Emotionalität und Rationalität widersprechen, es geht darum, dass wir lernen, jenen Widerspruch auszuhalten und mit ihm umgehen, statt ihn beseitigen zu wollen. Diese Beseitigung halte ich für Schwäche. Und so leben auf dem Festival alle höchst emotional, aber ebenso rational. Wir betrinken uns heftig und können dann ebenso über alternative Energien sprechen oder Peschmergas.

Die Sprache der Wut ist eine direkte und attackierende. Es ist tatsächlich schwer, damit umzugehen. Es wurden schon einige Diskussionen mit mir abgebrochen, weil ich zu emotional war und man wollte auf diesem Niveau nicht mit mir reden.

Wieso schätzen wir das Emotionslose als so viel diskutabler ein? Emotionslos zu diskutieren heißt für mich, nicht mit Nachdruck für eine Sache zu argumentieren: Das kann man, das kann man aber auch lassen. Das ist wie die obenerwähnte Singlebörse für Elitäre. Ich empfinde, die Verwendung des Wortes Niveau immer als Versuch, sich selbst qualitativ über andere zu stellen.

 

Im Moment der Wut wird nichts aufgekündigt. Man wird kein anderer, man wird anders. Meine Kritik wird nüchtern nicht vernünftiger ausfallen, manchmal sogar weniger Nachdruck haben. Aber was sich definitiv ändert ist mein Sprechen. Wortwahl, Ausdruck, Betonung. Ist es die ehrlichste Wut, wenn ich den Pisser drohend anschreie, nachdem er an mein Zelt gepisst hat? Das ist ehrlich, und ich würde es in keinem anderem Modus überhaupt zur Sprache bringen können.

Man könnte sie (die Wut) aus der Warte heraus ja als Zugang zum automatischen Schreiben verstehen. Vielleicht verkennt dieses entweder/oder aber schlicht einen möglichen Zustand.“  (Sk)

Nichts Anderes ist geschehen: Ich musste ein Konzert einer favorisierten Band verlassen, weil ich schreiben musste. Die Virtualität nahm in der Realität überhand und hat sie gescripted. So und nicht anders ist der besagte Sonettenkranz entstanden. Zwei Manien prallten aufeinander. Einerseits die Manie der Konzerte, das Selbstvergessen, die Masseneuphorie und andererseits das zurückgezogene, egozentrische Schreiben, das Arbeiten, um der Vergnügung der Arbeit willen. Ich kann nicht aufhören zu schreiben, bis ich aufhöre. Den Abend schrieb ich auf dem Rücken von Freunden und so gelangten viele Songtextzitate in die Gedichte. Sie sind ebenso Teil der Stimmung wie Teil eines Kommentars. Zwei Manien haben sich verbrüdert, die des Schreibens und die des musikalischen Exzesses.

Wut ist ein Modus. Er entsteht. Ich kann ihn nicht produzieren. Wut wird produziert. Wut wird empfangen. Ich kann aber diesen Modus der Wut beim Lesen reproduzieren, d.h. ich kann die innere Erfahrung nach außen darstellen.

Zorn oder Wut sind für die Literatur notwendig, weil sie einen aufklärerischen Moment in sich tragen. Dass dieser wahrhaft und nicht Plattitüde sein darf, dürfte wohl jedem/jeder einleuchten! “ (MD)

Simone Kornappel beschreibt dieses aufklärerische Moment als das IRAtionale. Ira – lateinisch für Zorn, Wut. Die Wut, die sich der Rationalität bemächtigt. Die völlige Klarsicht im Moment des Zorns, der Wut. Die Schwierigkeit jene Klarsicht auszudrücken, wird stets bestehen: Wann meinen wir es ernst, wann wollen wir es ernst meinen? Der Leser muss also überzeugt werden? Nein, überrannt. „Eine Überfülle an Bildern und Empfindungen, die auf uns einströmt, gleichzeitig eine Reduktion auf den wesentlichen, unmittelbaren Ausdruck.“(KG) Die/der Lesende ist nicht nur ein Sensor für Nachempfindung, sondern eine Mauer, gegen die ich anschreie.

 

Wenn ich gefragt werde, ob Wut nicht überwindbar ist, frage ich: Muss man Eifersucht, Glück, Liebe, Neid immer „überwinden“? Ist es so buddhistisch zu verstehen oder geht es manchen Menschen dabei nicht nur um bloße Verdrängung. Das Leben wirkt leichter. Aber wie leichter? Leichter zu ertragen? Geht es nicht darum, das Leben besser zu machen und nicht leichter ertragbar?

Mal wieder so richtig vernünftig wütend sein und hassen, ohne Menschen zu verdammen. Sich auslassen ohne ungezielt intolerant zu sein. Ungezielt intolerant bedeutet für mich, dass man Menschen oder Menschengruppen stereotypen zuschreibt, nach denen man sie beurteilt. Gezielte Intoleranz sucht Lösungswege: Wieso bleibst du nach der Rolltreppe erstmal stehen? Warum verachtest du Obdachlose? Wieso machst du einen Anschlag auf ein Musikfestival? Dabei geht es mir auch nicht darum, jene Gefühle direkt auszuleben. Sie zuzulassen und darüber nachzudenken ist erstmal wichtig. Wieso regen mich jene Personen überhaupt auf? Was bringt mich zur Weißglut?

Wut ist als Antriebsmoment wichtig gewesen und wird es bleiben. Wenn mich nichts mehr wütend machen kann, dann liegt meine persönliche Welt so im Argen, dass ich mich nicht mehr um sie schere.

Ich stehe ein für mehr Konzerte, mehr Festivals, mehr Freiheit. Ich fahre dieses Jahr wieder aufs Festival. Mit Angst und Mut und der Lust, meine Freiheit auszuleben und sie keinem zu versagen. Fahrt auf Festivals, ihr bekommt so viel Freiheit, wie ihr bereit seid, zu geben. Es ist genauso wie mit Gedichten.

 

 

 

In diesem Text wurden Gesprächsfetzen und Texte von Marko Dinić, Kai Gutacker, Simone Kornappel und Johanna Wieser zitiert.

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Published on: 12. Juni 2017
Erstellt von Verlagshaus
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