#05 Antipopulistische Lyrik

Im folgenden Text finden sich Gesprächsfetzen, die aus Gesprächen mit Caroline Danneil, Walter Fabian Schmid und Jan Kuhlbrodt stammen.

 

Caroline Danneil sagte mir: „In dem Moment, da Poesie den Widerstand (Kopfstand, Handstand, Widerspruch) aufgibt, wird sie Kitsch.“

Und dahingehend geb ich ihr Recht, eine Eindeutigkeit ist eher hinderlich, an ihr kann ich mich nicht abarbeiten. Aber was ist schon eindeutig? Walter Fabian Schmid sagte: „Was sich nicht sträubt, ist glatte Oberfläche.“

An dieser Glätte rutsche ich immer und immer wieder ab und finde nichts daran, um mich zu halten; so verlieren mich Glatte Kunstwerke: sie können mich nicht halten.

Der Widerstand eines Gedichtes ist nicht nur eine Hilfestellung, sondern ebenso ein Wagnis: „Vom Gedicht geht immer schon Widerstand aus, etwas gegen das Alte, die alte Sicht, das Geläufige. Das Gedicht läuft davon und stemmt sich zugleich“ (CD).

Ein Gedicht schreiben heißt für mich, über das Eigene hinwegkommen. Gedichte untermauern keine Geläufigkeiten. Sich selbst muss man ebenso adressieren wie auch das Phänomen. Gedichte schreibe ich, indem ich mich und meine Ansichten infrage stelle. Dann gehen sie über mich hinaus.

Gedichte in der Welt sind wie Sterne – jeder weiß von ihnen, aber man muss zum richtigen Zeitpunkt Aufmerksamkeit aufbringen können. „Es scheint also auf den Rezipienten anzukommen, im Artefakt die Spuren des Widerständigen zu finden. Widerstand braucht also einen Adressaten in zweifacher Hinsicht. Einen gegen den er sich richtet, und einen, der die Position erkennt, weil er sie teilt“ (JK).

Gedichte sind also schonmal nicht für den Populus! Es gibt keine breite Masse, die sich auf eine Poetik eingeschworen hat. Zum Glück. Aber dadurch, dass Gedichte einen individuellen Zugang benötigen, können sie nicht populistisch sein. Populistische Lyrik ist keine Lyrik.

In erster Linie bin ich mein Widerstand, dann mein Thema, dann die Form. Ich schreibe Gedichte, um die Themen neu denken zu können, um nicht in meinen Denkweisen zu verhärten. Die Selbstbestimmung des Individuums konstituiert sich durch konstanten Zweifel. Solange ich zweifle, habe ich die Möglichkeit mich zu verändern.

„Widerstand ist existentiell. Wer sich anpasst, verschwindet. Das weiss man seit Tetris (WFS)“.

Das Gedicht darf unverständlich sein und kann dahingehend befreien. In seiner Müchner Rede zur Poesie sagte Ulf Stolterfoht, wie befreiend es sein kann, nichts verstehen zu müssen, so lobt er das unverständliche Gedicht.[i] Doch auch dabei gibt es zwei Adressaten, wenn man sie nur finden will. Das unverständliche Gedicht sitzt nicht arrogant in der Ecke und feiert sich selbst.

„Hauptsache der Text leistet mir Widerstand. Ganz egoistisch und autokonfrontativ“ (WFS).

Ich postuliere hier: Der Widerstand der Poesie schafft antipopulistische Lyrik. Die Lyrik bietet keine Lösung, keine Antwort. Ich sage immer, ich studiere Philosophie, weil mir die Frage wichtiger ist als die Antwort; vor allem der Prozess des Fragens.

„Erkenntnis ist die Überwindung von Hürden“ (WFS). Und ich habe eine Faszination für Hürden. Aber hier liegt die Hürde, der Hürde. Widerstand darf kein bloßes >anti, um anti< sein. Prinzipielles Dagegensein ist impertinenter Starrsinn. Wer unbeweglich bleibt, verliert auf lange Sicht, das weiß man spätestens seit Tetris. Hierbei geht es aber nicht um ideologische Standfestigkeit. Es geht um die Freiheit des Denkens.

Lyrik ist keinem Nutzenprinzip unterworfen, wenn überhaupt, bestimmt es ein Subjekt für sich selbst – wenn überhaupt. „Poesie ein Widerstandsnest (-rest), zum Sammeln und Ausschlagen, dass es den Leser ansteckt und befällt; wie eine Krankheit: nicht heilbar. Aber schöner als eine Nur-Krankheit. Mit mehr Genussfasern“ (CD). Der Genuss des Andern im Eigenen, des Eigenem im Anderen. Man braucht das Andere, um sich selbst zu genießen. Populismus wirkt selbstgenügsam, aber das ist nur ein vordergründiger Schleier.

Lyrik gibt kein Heil, vielleicht gibt Lyrik Prospekt und Perspektive. Ich bin der festen Überzeugung, dass keine simple Wahrheit uns bei einem Problem zur Lösung führt und das Wahrheiten nur selten Eindeutigkeiten sind. Wir hätten es nur gerne, weil es bequem ist, Etwas indiskutables zu haben. Aber bieten Gedichte alternative facts? Im Idealfall tun sie das ohne gleichzeitig fake news zu sein. Eine neue Perspektive, die keinen Hoheitsanspruch besitzt. Das darf nicht mit dem berühmten Satz aus Georg Büchners Stück „Leonce und Lena“ verwechselt werden: „[V]ielleicht ist es so, vielleicht ist es auch nicht so.“ Es geht nicht darum, zu entscheiden, was Wahrheit (an sich) ist. Es geht darum die Welt in ihrer Ausprägung über sich selbst hinaus zu erfahren. Das will Populismus nicht. Populismus will eine Art Wohligkeit produzieren, in dem jeder scheinbar bekommt, was er will. Aber eigentlich bekommt nur jeder zu hören, was er hören will. Was wollen wir? Das ist dem Gedicht herrlich egal.

Die Frage der Gestaltung ermöglicht der Poesie die Mehrdeutigkeit. Ich behaupte, Platon fürchtet (wenn überhaupt) daher die Dichter*innen, weil sie Mehrdeutigkeit produzieren. Das Gedicht folgt keinem Prinzip, es setzt eines (oder mehrere). Der Gestaltungswille ist ebenso antipopulistisch. Populismus folgt der Verführung, dass es ein anderer schon richten wird.

Das Gedicht tut nichts für einen und erwartet nichts. Das Gedicht bietet an. Das Gedicht trägt vor. Das Gedicht stellt dar und doch ist damit erstmal nichts getan, wenn das Individuum es nicht tut/will. Und Gedichte wehren sich gegen Instrumentalisierung selbst. Lasst vom Gedicht ab. Es kann sich selbst helfen, im Gegensatz zu vielen anderen. Im Gegensatz zu mir.

Des Weiteren möchte ich die Menschen nicht um meinetwillen (ver)sammeln. Es wird nicht aus narzisstischen Gründen Zustimmung gesammelt und um Mitläufer geworben, um die eigene Meinung/Überzeugung zu legitimieren und zu realisieren. Ich möchte Menschen zerstreuen. Ich will nicht, dass meine Gedichte einheitsbildenend wirken. Ich will mich aber auch nicht als Lyriker einer Rebellion stilisieren. Ich will (Ihre) Gedanken zu (meinen) Gedichten.

 

Sich selbst über sich hinaus denken. Kein Maß, kein Erhalt, keine Versprechen. Nicht die Dinge beim Namen oder bei der Metonymie nennen. Sich selbst gleichzeitig in den Verhältnissen des Gedichtes denken und sich gleichzeitig überdenken können. Sich selbst überwinden heißt dem anderen näher zu kommen. Gedichte können das. Wenn Gedichte eine Mauer bilden, schreibt diese voll. Schreibt euch ins Gedicht. Sich selbst über sich hinaus schreiben.

 

 

 

 

 

 

[i] http://www.poetenladen.de/poesie/ulf-stolterfoht-poesie.htm

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Published on: 1. Juni 2017
Erstellt von Verlagshaus
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