Das Verhältnis von gesprochenem Wort zum Sex sowie zum sexual Objekt sind falsche Freunde. Das Sprechen verspricht eher Offenbarung über die sprechende Person als über die angesprochene Person. Wenn ich beim Sex jemanden anspreche, spreche ich dann nicht eher mich selbst an? Ist es denn überhaupt möglich in diesem Zustand einer Person etwas mitzuteilen oder teilt man sich nur sich selbst mit? Ist Sexsprech ein erweitertes Selbstgespräch? Ich glaube nicht. Ich glaube, dass das Sprechen beim Sex nur durch die andere Person ermöglicht wird. Selbsterkenntnis durch andere Augen, durch einen anderen Mund, durch ein Wesen, das nicht man selbst ist.
Ich freue mich, wenn mich etwas Fremdes berührt
Solang es nicht allzu fremd ist
Wie deine Hand an meinem Penis
Weil ich nicht weiß, wohin es mich führt
Etwas Vaghalsiges, bar Ungehemmtes
Wie einen doppelten Wunsch, den es
In eine Gemeinsamkeit verschlägt
Die vorher schon bestand und nachher nicht verreckt.
Der Wunsch ist das Spielzeug
Und Poesie und Pornos müssen sagen dürfen: Fick mich!
Das scheint so Freiheit, so Leidenschaft. So wichtig
Das keinem ein Zwang auf Ziel dräut.
Denn Lust ist ausweglos, ist Bang
Das Gefühl hauteng gesprengt
Wenn ich geil bin, dann – dann weiß ich nicht zu recht
Was soll ich mit uns anfangen, vertrackt im Schoß?
Lust und Vorsicht, beide satt, und bloß
Die Nacktheit verfährt sich am Geschlecht
Drum ficken wir zwei Hard Rock
Um kurz nur durch das Ego zu vergessen
Dass wir Parzellen sind, zusammengerissen
Erfahren wir Orgasmus ad hoc.
Die griechischen Wurzeln des Wortes Pornographie sind pornai und graphein: Hure und Schreiben. Das Geschriebene einer Prostituierten, Hurenschreiben vielleicht; aber was, wenn man anfängt, die Hure zu beschreiben? Ist das Pornographie? Wie bei allem macht der Ton die Musik und die Art und Weise des Sprechens ist eine eigenartige. Unsere Grammatik verführt uns das Sexualobjekt zu objektisieren, doch verführt es auch uns dazu?
Anonym, Jg. 1995. Berlin
Lack auf Zellgewebe
S-Bahnhof Oranienburger Straße
Es handelt sich hierbei
um ein hybridisiertes Kunstwerk,
die äußere - partielle - Lackschicht
scheint aufgeprägt und hebt sich
vor allem haptisch von der
restlichen Oberfläche ab.
Sorgfältig ausgewählt und
aufeinander abgestimmt
erscheint das Ensemble, wobei
die subtilen Details
in den Hintergrund treten und
sich dem flüchtigen Betrachter
aufgrund des grell zu nennenden
Gesamtausdrucks entziehen mögen.
Das Kunstwerk
zeichnet sich durch einen
dichotomischen Aufbau und den interaktiven
Charakter aus, dabei auf den
Traditionen der Prozesskunst eines
Robert Morris fußt.
Gerade die multisensuale
Wahrnehmbarkeit steht im Vordergrund,
nicht nur die Optik ist hier
Teil des Konzepts der Straßenhure;
Salzig und synthetisch gezuckert im Duft
bildet es eine Symbiose aus
gesellschaftlichem Statement und etwas
hintergründig Dunklem, das sich einer
rein hermeneutischen
Betrachtungsweise entzieht.
Wer für dieses Werk
verantwortlich ist, ist bis heute
ungeklärt. Ein vermutlich in
stiller Zurückgezogenheit arbeitender,
einzelner Schöpfer kommt ebenso infrage
wie ein künstlerisches Kollektiv,
die Szene streitet über
Entstehungstheorien und wartet
indes gespannt, aber bislang vergeblich
auf einen Namen, der
mit dem Ausstellungsstück
in Verbindung
gebracht werden könnte.
Erwähnenswert
erscheint die im Nachhinein applizierte
Zigarette zwischen Zeige- und
Mittelfinger, die kontinuierlich
herunterglüht, wenn man
vom Ficken spricht. Bis sie
schließlich, doch das
geschieht erst nach Jahren,
kurz über den Filter zurückgezogen,
das Fingerfleisch verbrennt.
Wir unterscheiden uns alle im Hinblick auf den Sex. Wir haben anderen Sex und wir sprechen anders vom Sex. Ist es die Art wie wir sexuell geprägt sind oder ist die Weiße, wie wir dazu stehen, was wir begehren? Sex hat sich historisch verwandelt. Es ist und bleibt ein wichtiges Element (nicht nur) menschlichen Lebens. Irgendwann werden Panda Pornos historisch sein.
In der Alten Nationalgalerie beim Anblick der vielen Satyrn und Nymphen einen veritablen Ständer bekommen und anschließend raschen Schrittes einen Späti aufsuchen, um ein Sternburg zu kaufen.
Das Zuschauen ist ein wichtiges Element des Pornos. Ich vermute, der Porno ist so interessant, nicht weil er Sex zeigt, sondern, weil er es möglich macht, Sex an- und einsehbar zu machen. Das Zuschauen beim Porno ersetzt keinen Sex, aber vielleicht ist es beim Porno das Äquivalent zum Zuhören beim Gedicht. Ist hier ein Fokus-Wechsel von Erregung und Befriedigung zu vernehmen?
Die Frage ist nun: Was löst der Porno in mir aus und wieso? Die Inspiration des Pornos klingt ominös, ist aber ein grundlegender existentieller Moment der eigenen Geschlechts- und Sexualitätserfahrung. Eine Wahrnehmungsstudie in Gedichten.
Aber ist das Sprechen nicht ebenso wichtig für Sex und für Geschlechter? Sprache hat eine arbiträre Beziehung zu Geschlechtern: grammatische Geschlechter, die keine sein sollen und doch schreib ich Dichter*innen und nicht einfach Dichter. Aber Gendertalk ist kein Dirtytalk, oder? Sex ist Sprechen, Sprechen ist Sex.
Das Handy wie ein Lasso aus der Einsamkeit
Es ist nicht so, dass wir nicht wissen
Was wir tun oder was wir tun könnten
Die Stimme lindert jenes Missen
Und nicht nur das – talk dirty to me
Und mach die Augenschau
Die Stimme, die mich fickt
Koloriert mein Eigengrau mit dir
Die Tapete, die du auflegst, hat einen Song
Den Lautsprecher nicht hören
Bis wir ineinander versinken und
Nicht mehr auseinanderhalten können
Was Phantasie – was Stimme ist
Denken ist Sex – ich bekomme Brainshots
Wie weit ich fühlen kann, wenn du davon sprichst
Unsere Körper sind Schatzkarten
Die wir phonetisch abgehen
Wie wir phonetisch abgehen
Wenn du mir das Zittern beibringst
Das Mikrofon stimmt uns nur sensibler
Du sprichst von mir – mit mir – zu mir
Wir dringen durch das Handy
Wir sprechen vom Tisch, von den Wänden
Von deinen Ohrläppchen und
Und wovon wir noch alles missen
Dein Stöhnen ist eine Direktive
Und ohne zu wissen, weiß ich wohin
Das Smartphone ist mehr als Defibrillator
Sprechen und Sex haben scheinbar nichts miteinander zu tun, aber wir verbinden diese Elemente. Wir, dieses schwammige Selbst, was auch immer es sein soll, setzt diese zwei Handlungen in Beziehung. Sex hat für viele etwas absolut Automatisches und viele sprechen dabei nicht (gerne). Ich kann mir nonverbalen Sex nicht vorstellen. Meine Vorliebe fürs Verbale, fürs Vulgäre, ist ebenso eine sexuelle Komponente meines Lebens. Ein Gedicht und ein Fick können Ähnliches bieten. Sie können laut sein, entdeckungsreich, selbstreflexiv, verbindend und immer begleitet von dieser Ahnung, diesem Wähnen, dass dort etwas ist, das wir nicht begreifen können, das uns aber fasziniert.
Wir verstehen uns nicht immer. Weder gegenseitig noch selbst. Sex und Porno ist da keine Ausnahme, wieso wir auf etwas stehen ist ein Rätsel: Soziologie, Anthropologie, Psychologie und Psychoanalyse versuchen weiter und weiter, genauer und genauer zu erraten wieso wir welche Vorlieben hegen. Vielleicht ist der Code einfacher, als ich denke, aber vielleicht ist es auch nicht nötig, alles zu verstehen. Vielleicht ist das Unverstehen ja auch Glück. Ich bin glücklich, dass ich mich gut mit meinem Begehren und meinen Vorlieben verstehe.
Das Verstehen des Sprechens und der Sprecher*in scheint uns ein gewünschter Erfolg zu sein. Das Verstehen ist aber kein welterschließendes Element und auch kein sinnstiftendes oder -voraussetzendes. Verstehen ist eine größere Vagheit als man denkt, behaupte ich. Wer etwas verstanden hat, fühlt sich befriedigt, aber ist das nicht auch eine Selbsttäuschung? Was ein Verständnis ist, kann ich nicht sagen, ich kann aber sagen, dass das Verstehen häufig wie Porno gehandelt wird.
- Du, ich hab ne super Idee: Verständnisporno.
- Okay – ich kann mir darunter noch nicht so viel vorstellen.
- Hier ist eins, schau es dir mal an:
[Paul Celan Gedicht]
- Das ist ja Paul Celan!
In der Sprache liegt eine Macht. Sie kann uns beherrschen oder uns die Möglichkeit geben, uns selbst zu bemächtigen und die eigene Sexualität und das eigene Geschlecht zu hinterfragen. Kritisch zu sein, zu sich selbst und seinen Umständen, heißt feministisch, heißt reflektiert zu sein. Feministische Pornos erlangen nicht umsonst eine schiere Beliebtheit in unserer Zeit.[i] Man kann geil sein und intellektuell angeregt.
Pornos, die mich geil gemacht haben, und mich über Sexualität haben nachdenken lassen. Ist Pornos schauen bloße Selbstbefriedigung oder auch Selbstbestätigung? Was ist, wenn Leute die Gesellschaft bewusst mit ihren sexuellen Vorlieben konfrontieren? Wird anal Mainstream? Welche Rolle haben Dominanz und Unterwürfigkeit und wie viel Vertrauen steckt darin? Wie viel Hirn fickt? Ich habe ganz eindeutig Brainshots bekommen.
Die Regisseurin Mia Engberg schreibt: „So what is feminist porn? There is not one simple answer to that question, but you are about to see twelve amazing shortfilms that are challenging our gaze upon ourselves and our notion of pornography.”
Meine 12 Gedichte sind zu den 12 Kurzfilmen entstanden und stehen nicht als Antwort auf sie dar, noch als lyrische Abbildung. Das bin ich nach den feministischen Pornos. Eine klare Filmempfehlung für die „Dirty Diaries“ von Mia Engberg.
Das Gedicht und der Porno haben viel gemeinsam: Sie sind beide zu Hauf in der Welt und die Frage, welche uns anturnen, uns ansprechen, etwas in uns auslösen, liegt tief verwurzelt in unserer Person. Wir können die Antworten suchen, doch das Finden ist nicht das Ziel, sondern die Suche allein verändert uns. Wer wir sind, was wir mögen, liegt vielleicht nicht immer in unserer Hand, doch die Reflexion kann nur von uns selbst aus gehen. Die Reflexion seiner Selbst ist eine Schwierigkeit, auch Decartes schrieb in der zweiten Meditation: „Seltsam ist allerdings, dass ich Dinge, die mir klar als zweifelhaft, unbekannt, mir fremd bewusst sind, deutlicher erkenne als das Wahre, Bekannte, also mich selbst.“ Und nicht umsonst fällt mir da Hegel ein: Ich brauche ein anderes Individuum um mich als eines zu erkennen: Die Identität aus Identität und Nicht-Identität. Gedichte und Pornos brauchen sich; außerdem: „For it seems realistic to expect that pornography is here to stay” ( Ann Garry).
Wie hoffentlich auch Gedichte. Ich möchte allen Dichter*innen für die Bereitstellung ihrer Gedichte danken. Die Rechte der Gedichte, der Geschlechter, der Sexualitäten und das Recht auf Sex bleiben bei den Urheber*innen.