Pornography is very much like adolescent poetry: there’s a great deal of it about because it is a very easy thing to do, and much of it is absolutely fucking dreadful because it is very hard to do well. (Alan Moore)
2013 habe ich mich intensiv mit Pornographie, Ästhetik, Kunsttheorie und feministischen Pornos auseinandergesetzt. Dabei lernte ich die feministisch-pornographische Kurzfilmsammlung „Dirty Diaries“ der Regisseurin Mia Engberg kennen. Schnell wurde mir klar, dass ich Gedichte zu diesen feministischen Pornos schreiben wollte. Ich wusste, dass ich keine Verbalisierung der Bildebene und keine einfache Rezeption schreiben wollen würde. Und so wurde es auch nicht. Ich habe mich durch die Betrachtung der feministischen Pornos intensiv mit den Themen der Sexualität, der Geschlechter, des Begehrens und der sexuellen Praktiken auseinandergesetzt.
Ich bin bei Weitem nicht der einzige, kein Pionier und habe keinerlei Recht auf eine Sonderstellung. Ich finde nur, dass die Themen Sex und Lyrik – trotz großer Partnerschaft – immer noch nur ein schwieriges Standbein in manchen Köpfen haben. Ich habe einige Gedichte von Dichter*innen zusammengetragen, die wundervolle Beispiele für jene Themen bieten. Pornos und Poesie gibt es – und es darf sie auch zusammengeben:
Ich reflektierte mein eigenes Sexualleben und fragte mich natürlich: Bestimmt die Sexualität mich oder ich meine Sexualität. Diese Fragen lassen sich vermeintlich schnell beantworten, in Gesprächen mit verschiedenen Leuten erfuhr ich aber, dass es dabei verschiedene Sichtweisen gibt. Ich behaupte die Person bestimmt ihre Sexualität in dem gleichen Maße wie die Sexualität die Person bestimmt.
Wer sagt eigentlich, dass man immer man selbst sein muss? Gerade im Reich des Begehrens finden wir uns selbst zuweilen völlig fremd. Begehren, Sex, Sexualität sind Lebensbereiche in denen wir uns immer wieder neu kennenlernen. Wie schwer ist es dann, jemanden anderen auf diesem Bereich kennen zu lernen? Sex und Schreiben verbindet eine große Selbsterforschung, die niemals aufhört und niemals nur bei diesem ominösen Selbst bleibt; beides sind keine Monaden. Trotzdem bin ich mir beim Ficken schon nähergekommen als der anderen Person.
ständig darauf bedacht
die kontrolle nicht zu verlieren
aber
hinter dem venushügel
auf der lauer liegen…
Welchen Regeln unterwerfen wir unser Sexualleben? Sex ist Kommunikation, die wilder und gleichzeitig intimer nicht sein könnte. Nine Inch Nails singen: „I wanna fuck you like an animal“. Der Ausdruck einer gemeinsamen, ungehemmten Wildheit. Die Tierheit nicht als Abwertung. Sex als Form des Ausdrucks. Und doch kann diese intime Kommunikation im Porno öffentlich gemacht werden. Das ist widersprüchlich und gerade deswegen lebenspraktisch. Wir alle benehmen uns beim Sex anders. Ob man es nun als Trieberfüllung betrachten möchte, als Auflösung des Triebstaus, als Sex-System im Gesellschaftssystem. Wir haben Codes. Wollen wir uns vorstellen, wer welche Codes hat?
Ich will dich in mir spürn
Dich so sehr wollen
Dass Haut behindert
Ich will deine Gedanken über mich
In mir; aber ich kann mich nicht
Selbst eröffnen
Wohl nur im Gegenzug
Dir meine Denke bieten
Wir wissen doch beide
Wie geil es sich anfühlt
Wenn wir weiter Nerven
Im anderen verlegen
Jede Berührung geschliffen
Mit der wir konsequent spielen
Und nichts
Ist gespielt
: ich will dich
Unter der Haut
Und denke mich dir
Und denke dich mir
Wie zärtliche Schnitte
Ich habe dich nie gefickt. Ich habe
Immer mit dir gefickt
Und mir war nie
Mein Glück selbstbewusster.
In diesem Gedicht schreibe ich: „Ich will dich in mir spüren“. Ich habe mich gefragt, ob ich es dadurch in ein weibliches Gedicht verwandele? Oder in ein homosexuelles? Gibt es das überhaupt? Haben Gedichte Geschlechter (Swantje Lichtenstein bietet einen Essay dazu) oder Sexualität(en)? Wie sinnlos solche Fragen einer/m erscheinen wollen, sie wurden in literarischen Debatten gestellt.
Mir scheint, meistens versuchen wir unsere Geschlechtserfahrungen und Sexualität(en) in Gedichte zu verpacken, dabei wirkt nichts verführerischer als „[d]ie Reizwäsche der Abstraktion" (Monika Rinck).
Es ist schwer, über den eigenen Sex zu schreiben. Man muss sich gleichzeitig öffnen und ebenso verschleiern. Viele sprechen dann von Erotik, wobei ich nicht weiß, ob sie so einfach von der Pornographie zu trennen ist? Häufig stellt man die Erotik als andeutend-unenthüllend dar. Die Pornographie soll die nichts-andeutende, also die völlige Enthüllung darstellen: Aber kann nicht durch völlige Enthüllung eine weitere Ebene eröffnet werden? Ist die Blanke Nacktheit nicht mehr als sie selbst? Ist Erotik wirklich nur feinsinniger? Feinsinniges kann auch stören.
der anfang sollte das ende sein
gottes wege sind scheißunergründlich
tief gebrandmarkt von dir
betrachte ich die unbekannten
um mich herum über mir
fickend mit wilden grimassen
während sie sich abwechseln
beweine ich deinen saft
zwischen meinen verwaisten beinen
In einer Diskussion mit Hendrik Jackson waren wir uns einig: Das Schwierige am Schreiben über Sex ist, dass man dem Leser niemals die Intensität des eigenen Gefühls vermitteln kann. Man kann es phänomenologisch beschreiben, metaphorisch andeuten, metonymisch machen, abstrakt gestalten etc. Aber nie wird der Leser meine Gefühlslage einnehmen können. Aber ist es nicht der asymptotische Versuch, der gerade das so wichtigmacht?
Wir können die Intensität des Gefühls nicht einfangen, doch das nimmt uns allen weder den Spaß am Sex noch am Schreiben. Dass man an beidem Verzweifeln kann, zeigt, welche Wichtigkeit es im Leben eines Menschen einnehmen kann – und nie muss – diese Modalverben werden noch wichtig. Laut Foucault steht auch der Sex auf der Seite der Zukunft.
Ein rohes Ei
An nackt gespreizten Fingern
Getrennt erst in Tropfen
Dann ganz Fließen
Ich will Aggregat
Ohne Metapher
Warte ich auf
Wunsch nach
Ausdruck : Fick mich!
Schenkellinien tauen
Im Erzittern
Unter dem Fleisch
Der Nässe der Sucht
Nach jedem Molekül
Perlt uns von der Haut
Das vage Chaos
Dieser laute Geruch der Fragen
Auf Antworten stellt
Die ein Geschlecht allein verschweigt