2015 ist die erste Sammlung deutschsprachiger Übertragungen der Gedichte von Tal Nitzán im Verlagshaus erschienen: »Zu Deiner Frage«
In den kommenden Tagen werden wir einige ausgewählte Gedichte von Tal Nitzán in der BlackBox präsentieren – mit einer Hinführung der Autorin und Übersetzerin Gundula Schiffer, die Tal Nitzáns Arbeiten seit zehn Jahren begleitet.
In diesem ersten Beitrag finden Sie neben der Hinführung einige Seiten aus dem Band – mit Illustrationen von Jul Gordon, die sich den Texten Tal Nitzáns mit einem eigenen Bild-Narrativ annähert.
Tal Nitzán ist eine beeindruckend vielseitige und produktive Gestalt der gegenwärtigen Literaturszene Israels. In erster Linie Dichterin – sechs Lyrikbände hat sie bisher vorgelegt – ist sie außerdem eine der führenden ÜbersetzerInnen spanischsprachiger Literatur ins Hebräische, Herausgeberin verschiedener Anthologien (With an Iron Pen, 2005, zur israelischen Protestdichtung) und Literaturzeitschriften (Mitarbeiterin bei Hamusach / Die Werkstatt, brandneues Onlinemagazin zur israelischen Gegenwartsliteratur), hat einen Roman (Each and Every Child, 2015) und fünf Kinderbücher verfasst. Sie performt auf Lesungen in Israel wie auf internationalen Lyrikfestivals und steht zudem als Friedensaktivistin in der Öffentlichkeit. Für ihr übersetzerisches Œuvre wurde ihr auch der Tchernichowsky-Preis zuerkannt, Israels ehrenvollste Auszeichnung literarischer Übersetzer; als Lyrikerin erhielt sie u.a. 2002 für Domestica den Culture Minister’s Prize for debut book und 2010 the Prime Minister’s Prize for Writers/Eshkol Preis.
Geboren in Jaffa verbrachte Tal Nitzán mehrere Jahre in Buenos Aires, Bogotá und New York und lebt derzeit in Tel Aviv. In ihrer Lyrik fließen vor allem zwei Ströme zusammen: das biblisch-hebräische Erbe und die Beheimatung in der spanischen bzw. lateinamerikanischen Literatur. Privates und Politisches vermischen sich in dieser Dichtung unweigerlich. Gewichtiges, Ernstes wird hier gesagt, aber niemals lauthals: eine dezente, dennoch kraftvolle Klage wie Hintergrundrauschen fast. Nitzáns Gedichte sind nicht aggressiv, sie halten vor Augen, als hofften sie auf den berührbaren „weichen Punkt“ eines jeden Menschen. Dennoch spüren wir die große Anspannung, schwelende Wut darunter: In Interviews bekannte Nitzán: „Ich schreibe über das, was mich nicht schlafen lässt“; und: „A Poet Must Know How to Kick“, eine Anspielung auf ihr Hobby – Kickboxen. Ja, ich möchte Tal Nitzán in der Tat eine moderne Psalmistin nennen. „Ich liege mit meiner Seele unter den Löwen; die Menschenkinder sind Flammen, ihre Zähne sind Spieße und Pfeile und ihre Zungen scharfe Schwerter“ (Ps 57.5, Luther 1912). Diese tief existentielle Dimension biblischer Lyrik, mit ihrem natürlichen Fundament an „starken Nomina“ – wie Schrei, Sehnsucht, Rache –, begegnen wir in Nitzáns Versen wieder. Auch das Bewusstsein um die Grenzen menschlicher Macht und Worte ertönt wie ein Echo von dort her: „die brennende Begierde des Rächers wirst du nicht mildern“ (Güte). Der Psalmist ist wie sie beides, Dichter und Aktivist. Wohl nicht grundlos hat sich Tal Nitzán daneben wie zur Balance den zerbrechlichen Flamingo zum „Einsamkeitstier“ erwählt (Wenn).